logo_300.jpg (4480 Byte)

Handstrichziegelei Oberheu

bild1_200.jpg (18458 Byte)
Gisela und Wilhelm Oberheu vor dem Gebäude mit dem Brennofen, welches seine Eltern 1931 errichteten. Im Vordergrund Hund Tizian

 

Kunstgeschichtlich bedeutende Produktion im Verborgenen - die Bordenauer Handstrichziegelei Oberheu

Bordenau (cha). An der hannoverschen Christuskirche sind Baugerüste aufgebaut, denn umfassende Restaurierungsarbeiten sollen das etwas baufällig gewordene Ziegelgebäude bald wieder in ursprünglichem Glanz erstrahlen lassen. Seit der Mitte des 12. Jahrhunderts etablierte sich die Backsteingotik auch im Kirchenbau. Und mit dieser Stilrichtung ging eine besondere Ziegelformkunst einher. Über den schlichten rechteckigen Ziegel hinaus, bildeten sich auch Hunderte von besonderen Steinformen heraus, die bildhauerische Qualität haben. Sind diese kunsthandwerklich hochwertigen Steinziegel beschädigt oder zerstört, ist der Ersatz schwierig und die Hilfe von Wilhelm Oberheu unverzichtbar. Mit Maßband und Kamera ausgerüstet, klettert er deshalb Über die Gerüste der Christuskirche. Der 1933 geborene Bordenauer dokumentiert die Steinformen, die ausgetauscht werden müssen. Denn Wilhelm Oberheu ist Ziegelmeister und im norddeutschen Raum der einzige, der auch diese ganz besonderen Steinformen brennen kann, wie sie gerade in der Denkmalpflege meist benötigt werden. Bereits in der 4. Generation betreibt er in der Forst des Rettmerberges zwischen Bordenau und Schloss Ricklingen eine Ziegelei. Das Verfahren hat sich in den rund 140 Jahren seit Bestehen des Betriebes nicht wesentlich geändert. Es ist Handarbeit im reinen Wortsinn und sogar im Firmenlogo ist mit Stolz vermerkt, dass es sich um eine "Handstrichziegelei" handelt. Zwar wird nicht mehr mit dem sogenannten "Deutschen Ofen" gebrannt, aus dem der Rauch einfach so durch das Dach quoll. Vielmehr bauten seine Eltern Emma und August Oberheu einen stattlichen Brennofen, dessen Mauern gut 150 cm dick sind und dessen 30 Meter hoher Schornstein noch heute weit Über die Bäume des Waldes hinausragt. Mit rund 6 Tonnen elsässischer Kohle pro Brand befeuert, erzielt dieses Verfahren die wunderschöne und unnachahmliche Ziegelfärbung.

Am Wochenende sitzt Wilhelm Oberheu mit Papier und Bleistift bewaffnet in seinem Büro. Die Maße der Holzformen müssen errechnet werden, in welche während der Produktion das Gemisch aus Ton, Sand und Wasser gepresst wird. Denn für jede Ziegelsteinform wird eine spezielle negative Holzform getischlert. Mit Schwung werden Oberheus kräftige Mitarbeiter Mike Drämert und Hassan Bollow später die schwere Masse in diese speziell angefertigten Formen werfen. Der Ton muss vor allem die Ecken des Hohlraums vollständig ausfüllen. Dann wird in die Mitte der Tonmasse ein Loch gebohrt und wiederum das Tongemisch hineingepresst, um später einen wirklich kompakten Stein zu erhalten. Überschüssiges Material wird mit einem Holz oder mit der Hand weggestrichen. 

 

Bild2_200.jpg (11825 Byte)

 

 

 

 

Der fertig geformte Ziegel wird schließlich aus der Holzform herausgestoßen und anschließend für die Trocknung gestapelt. Lufttrocknung wäre zu langwierig, deshalb unterstützen Gaswärme und Ventilatoren im Trockenschuppen den langsamen Wasserentzug. Läuft dieser Prozess zu schnell ab, reißt der Ton und die Steine sind unbrauchbar. Durch den Wasserverlust verringert sich natürlich auch das Maß des Ziegels. Eine Eigenschaft, die Wilhelm Oberheu in seinem Büro bei der Abmessung der Holzform mit einrechnen muss, wobei ihm seine umfangreiche Erfahrung zugute kommt.

Kaum ein historisches Backsteingebäude zwischen Langeoog und Kassel kommt bei der Restaurierung ohne Oberheus Spezialziegel aus. Ob man die Hamburger Collonaden entlangbummelt oder durch den hannoverschen Hauptbahnhof hastet, ob man die Ludgerikirche in Norden bewundert oder die Liebfrauenkirche in Neustadt. Ohne Wilhelm Oberheus handwerkliches Können wäre die Restaurierung nicht so gelungen. Aber auch in Bordenau gibt es zahlreiche Backsteingebäude, die mit Oberheus Ziegeln gebaut wurden. Allerdings sind es normale Steine im sogenannten Klosterformat. Denn bis 1963 arbeitete die Ziegelei konventionell und lieferte bis dahin den schlichten rechteckigen Steinbedarf für die zahlreichen Backsteingebäude des Dorfes. Schließlich war der Transport der gewichtigen Ziegel in früheren Jahren nicht so einfach zu realisieren, wie heute. Gisela Oberheu, die nicht nur die Buchhaltung fest im Griff hat, sondern sich auch mit der Geschichte der Ziegelei umfassend beschäftigt, stellte bei ihren Recherchen fest, dass vor 150 Jahren eigentlich jedes Dorf entlang der Leine eine kleine Ziegelei hatte. Der Ton für die Produktion fand sich in der Leinemasch. Heute hingegen kommt er für die Bordenauer Ziegelei entweder aus Stedesdorf bei Verden. Diese Erde brennt rot. Oder die gelbbrennende Sorte wird benötigt, dann steht eine Fahrt nach Duingen bei Alfeld an.

Seit 142 Jahren ist die Herstellung von Tonziegeln in der Familie Oberheu der Haupterwerbszweig. Nur durch die Weltkriege unterbrochen, wurde produziert und durch Fleiß und Geschick konnte es bereits Wilhelm Oberheus Urgroßvater zu etwas Wohlstand bringen. Im Volksmund wurde er "der Krumme" genannt, weil die harte körperliche Arbeit an der Haltung gezehrt hatte.

 

 

bild3_200.jpg (16811 Byte)

 

 

 

Die Geschichte seiner Nachfahren geht wechselvoll weiter, denn viele Frauen sterben früh und auch die Mutter des heutigen Ziegeleibetreibers starb im Kindbett. Alleine konnte Wilhelm Oberheus Vater August den Betrieb nicht halten und arbeitete ab 1938 als Schlosser bei der Hanomag, was ihn 1939 davor bewahrte in den Krieg zu ziehen, da er als Arbeiter in der Rüstungsindustrie nicht abkömmlich war. 1951 beschlossen Vater August und Sohn Wilhelm, den Ziegeleibetrieb wieder aufzunehmen. Doch1955 erlitt Wilhelm Oberheus Vater einen Schlaganfall und der 22jÄhrige Sohn musste sich ab diesem Zeitpunkt alleine um den Betrieb kümmern. Gesteigerte maschinelle Produktionsmöglichkeiten in der Ziegelfabrikation machten Oberheus Handwerk immer unrentabler. Nach der Heirat mit Gisela Schnittker 1961 und der Geburt von Tochter Susanne im darauffolgenden Jahr war ein gesicherter Lebensunterhalt mit der traditionellen Produktion in Bordenau nicht mehr zu erwirtschaften. Deshalb arbeitete Wilhelm Oberheu ab 1963 gezwungenermaßen in der Stöckener Ziegelei. Dennoch hegte er weiterhin den Traum einer eigenen Ziegelei und 1972, inzwischen Ziegelmeister, ergriff er die einmalige Gelegenheit, sich in der Nische Denkmalspflege zu etablieren. In diesem Jahr wurde die Bundesbahndirektion in der hannoverschen Joachimstraße restauriert. Die ausgefeilten Formen des gelben Klinkers waren in den industrialisierten Produktionsstraßen der Ziegelindustrie nicht mehr herzustellen und die Chance für die kleine Bordenauer Ziegelei. Denn Wilhelm Oberheu konnte den gelb brennenden Ton so formen und verarbeiten, wie es auch bei den ursprünglichen Ziegeln aus der Bauzeit des Gebäudes getan wurde. Ehrensache, daß auch die Wände des hannoverschen Hauptbahnhof anstelle von Einschusslöchern des Krieges heute hier und da einen Oberheu - Ziegel zur Vervollkommnung des Gesamteindruckes enthalten. Über eine schlechte Auftragslage können Gisela und Wilhelm Oberheu nicht klagen. Gerade erst erschien ein Artikel in der evangelischen Kirchenzeitung, denn so manches christliches Andachtshaus wird mit Firststeinen aus der Leinemasch gekrönt. Und zerstörte Fenster bekommen mit den Sohlbanksteinen aus Bordenau wieder den notwendigen Halt. Gleich nach dem Niedersachsentag wurde in Nienburg die St. Martinskirche eingerüstet. Keine Frage, dass jetzt gerade die Ziegel aus dem Brennofen in der Forst des Rettmerberges kommen. Nun liegen die Steine, die etwa drei Wochen bei der höllischen Temperatur von 1050°C gebrannt werden und im Anschluss mindestens eine Woche wieder abkühlen, in der wunderschönen Waldlichtung des Oberheuschen Grundstücks. Und bevor sie ihren endgültigen Platz in der historischen Backsteinkirche einnehmen werden, betrachtet abends ab und zu ein Reh mit Kitz die Steine und auch Ziegeleihund Tizian dreht seine Runde um die aufgeschichteten Steine. Aber für ihn ist das sehr selten gewordene Handwerk Alltag.

 

E-Mail an den Webmaster  -  Zur Startseite Bordenau-Aktuell  -  Impressum
Copyright "Bordenau im Internet" - Stand: 13. Juli 2012